Fallbeispiel Organisationsentwicklung: Das Comeback einer Zahnarztpraxis

Wenn Mitarbeitende unzufrieden sind und die Arbeitseffizienz sinkt, sind die Ursachen häufig in fehlenden Strukturen und Verantwortlichkeiten zu finden. Gerade bei dynamisch wachsenden Praxen ist oft festzustellen, dass einstige Organisationsstrukturen der neuen Unternehmensgröße nicht mehr gerecht werden. Aber auch Arzt- und Zahnarztpraxen, die nicht berücksichtigen, dass sich Mitarbeiterbedürfnisse verändern und ihre Praxisorganisation dahingehend anpassen, laufen Gefahr, in Krisensituationen zu geraten.

20.09.2023 Fallbeispiele

Tatjana Stefanowsky, unsere Spezialistin für Organisationsentwicklung bei Kock + Voeste, zeigt an einem Fallbeispiel, wie mit gezielten Veränderungsprozessen in Praxisstruktur und Unternehmenskultur die Leistungsfähigkeit einer Arzt- bzw. Zahnarztpraxis langfristig gesichert werden kann.

Worum geht es bei der Organisationsentwicklung in Praxis und MVZ?

Die Organisationsentwicklung ist ein Veränderungsprozess.
Mit dem Ziel, ein (Gesundheits-)Unternehmen so zu entwickeln, dass es in der Lage ist, sich Umfeld- und Personalbedingungen agil anzupassen, werden kulturelle und strukturelle Leitplanken geschaffen, die den Praxiserfolg langfristig sichern sollen.

Indem Ressourcenverfügbarkeiten auf den Prüfstand gestellt und sich verändernde Mitarbeiterbedürfnisse konsequent berücksichtigt werden, trägt die Organisationsentwicklung dazu bei, die Flexibilität und Leistungsfähigkeit einer Zahnarztpraxis dauerhaft zu erhöhen.

Die Organisationsentwicklung ist ein geplanter, systematischer Wandel, in den alle Organisationsmitglieder einbezogen werden. Es geht darum, personelle Ressourcen bestmöglich einzusetzen und die produktive Zusammenarbeit zu stärken. Ziel ist es, wettbewerbsfähig zu bleiben, indem effiziente Prozesse geschaffen werden, die das Praxisteam entlasten und das Umsatzpotenzial steigern.

Mit klaren Strukturen und der Stärkung von Eigenverantwortung können betriebliche Veränderungen im Zuge einer Organisationentwicklung maßgeblich zu einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit und Mitarbeiterbindung beitragen.

Fallbeispiel Organisationsentwicklung in der Zahnarztpraxis

[Namen v. d. Redaktion geändert]

Dr. Botras ist eine langjährig erfahrene Zahnärztin und Praxisinhaberin. Seit sieben Jahren führt sie eine gut etablierte Zahnarztpraxis und genießt den Ruf als einfühlsame Anlaufstelle für hochwertige zahnärztliche Versorgung. Dennoch ist Dr. Botras in Sorge: Obwohl sie und ihre zwei angestellten Zahnärzte viele Fälle behandeln, spiegelt sich dieser Erfolg nicht im Praxisumsatz wider.

Die kritischen Umsatzzahlen stellen jedoch nur die Spitze des Eisbergs dar. Im Erstgespräch treten weitere Schmerzpunkte zutage, die die Praxisinhaberin umtreiben: Das Team scheint überlastet, der Krankenstand ist hoch und die Fluktuation der Mitarbeitenden zunehmend beunruhigend. Prozesse sind zwar irgendwann auf Papier festgehalten worden, jedoch gibt es wiederholt Fehler im Ablauf und interne Konflikte sorgen für eine angespannte Stimmung in der Belegschaft. Dr. Botras hat das Gefühl, die Kontrolle über die Praxis zu verlieren. Sie möchte die Abwärtsspirale durchbrechen – nur weiß sie nicht, wie.

Wir empfehlen Dr. Botras eine Organisationsanalyse, um die Knackpunkte genau eruieren und Stellschrauben zur Verbesserung der Praxissituation identifizieren zu können.

Die Organisationsanalyse als Kompass für Veränderungen

Eine Organisationsanalyse nimmt Praxisprozesse und Personalstrukturen genau unter die Lupe. Sie hat das Ziel, Schwachstellen in den Praxisabläufen aufzudecken, Konfliktpotenziale zu identifizieren und Ansätze zur Verbesserung der Unternehmensführung herauszufiltern.

Die Arbeit beginnt mit einem Zielgespräch. Mit der Praxisleitung werden Erwartungen, Wünsche und Bedenken geklärt und eine Vision für die Zukunft des Unternehmens entwickelt. Anschließend geht es in die konkrete Problemerfassung.

Gespräche lassen oft tief blicken. Deshalb sind Tiefeninterviews ein wichtiger Ausgangspunkt unserer Organisationsanalyse. Es werden Einzelgespräche mit der Geschäftsführung, dem Praxismanagement und weiteren Personen in Schlüsselfunktionen der Zahnarztpraxis geführt – stets darauf bedacht, eine gute Mischung aus langjährigen Mitarbeitenden und neu hinzugekommenem Personal zu befragen, um verschiedene Perspektiven auf die Situation der Praxis zu gewinnen. Die Interviews liefern wertvolle Einblicke in den Status-quo und helfen dabei, die tatsächlichen Schwierigkeiten und Konfliktfelder zu erkunden.

Daraufhin folgt die Vor-Ort-Begehung. Einen ganzen Tag lang werden die internen Abläufe in der Zahnarztpraxis (unauffällig) beobachtet: Von der Terminplanung über die Anmeldung und Behandlungswege, bis hin zu den Kommunikationsstrukturen, den Abrechnungsprozessen und dem Schnittstellenmanagement wird alles genauestens betrachtet. Mit den gesammelten Informationen beginnen wir, das Puzzle erfolgskritischer Faktoren zusammenzusetzen.

In der Praxis Dr. Botras wird schnell deutlich, dass es vor allem an festgelegten Verfahren und Verantwortlichkeiten mangelt. Statt strategisch planvoll zu handeln, dominierte eine Kultur des situativen Agierens. Unterschiedliche Kenntnisse, Fähigkeiten und Vorgehensweisen in der Belegschaft sorgen zum Teil für einen erheblichen Mehraufwand und Reibung innerhalb des Teams.
Dr. Botras selbst verliert sich im Mikromanagement, kontrolliert jedes Detail selbst, statt Verantwortung abzugeben und Aufgaben zu delegieren.
Es fehlt ein klares Haupt- und Stellvertretersystem und auch der interne Kommunikationsfluss erweist sich als mangelhaft.

Die Organisationsanalyse offenbart auch eine belastende Sandwichposition der Praxismanagerin, die oft mit kritischen Entscheidungen und der Balance zwischen Mitarbeitenden und Geschäftsführung alleingelassen wird. Es ist offensichtlich, dass eine Entlastung der Belegschaft und des Managements sowie eine festgelegte Aufgaben- und Verantwortungsteilung dringend erforderlich sind.

Der Fahrplan zur erfolgreichen Praxisentwicklung

Mit den ermittelten Schwachstellen wird ein Fahrplan zur Veränderung entwickelt. Die Praxisleitung wird dabei eng in den Prozess eingebunden. Gemeinsam definieren wir Einzelmaßnahmen und Entwicklungsziele. Mit der Festlegung von Meilensteinen wird der Projektfortschritt gemessen und überwacht.

1. Management in der Zahnarztpraxis professionalisieren

Dr. Botras ist in ihrer Doppelfunktion als Behandlerin und Praxisleiterin sichtlich überfordert. Mit ihrem hohen Anspruch, alles kontrollieren und möglichst selbst machen zu wollen, läuft sie Gefahr auszubrennen. Zu klären ist deshalb, welche Aufgaben sie zukünftig übernehmen möchte, und was sie bereit ist, abzugeben.

Als leidenschaftliche Zahnärztin liegt es ihr am Herzen, nah am Patienten zu arbeiten. Dennoch möchte sie auch die Praxisführung nicht gänzlich aus der Hand geben. Wir verständigen uns darauf, eine zweite Führungsebene einzuziehen. Aufgabenteilung und die Übertragung von Verantwortlichkeiten helfen, persönliche Ressourcen gezielter einzusetzen.

Eine systematische und fachlich fundierte Mitarbeiterführung und Prozesssteuerung sind grundlegend, um im Praxisalltag wettbewerbsfähig und erfolgreich zu sein. Eine zweite Führungsebene ist vor allem für größere Praxiskonstrukte empfehlenswert – immer dann, wenn die sogenannte Führungsspanne mehr als sieben Mitarbeitende übersteigt.

Als zweite Führungskraft wird die Praxismanagerin benannt. Ausgestattet mit Weisungsbefugnissen, Kontroll- und Entscheidungskompetenz, entlastet sie nicht nur Dr. Botras in der Praxisführung. Die neue Position als zweite Führungskraft in der Praxis befreit die Managerin auch aus ihrer bisherigen Sandwichposition zwischen Leitung und Belegschaft. Mit Handlungs- und Entscheidungsfreiräumen ist sie nun in der Lage, in ihrem Kompetenzgebiet eigenverantwortlich und autonom zu agieren, ohne jeden Schritt mit der Praxisleitung abstimmen zu müssen.  

Für Dr. Botras selbst werden feste Zeiten für Führungsaufgaben eingeplant: zum einen, um eine Vereinbarkeit zwischen Patientenbehandlung und Praxisführung herbeizuführen, zum anderen, um das bisher praktizierte „Tür- und Angel-Management“ zu eliminieren und die Praxisführung zu professionalisieren.

2. Klare Praxisstrukturen schaffen

Das situative Agieren führt in der Zahnarztpraxis dazu, dass Aufgaben teils doppelt, teils gar nicht erledigt werden. Fehlende Prozessbeschreibungen und Verantwortlichkeiten erweisen sich als bedeutende Konfliktherde, die die Zusammenarbeit gefährden und die Produktivität beeinträchtigen.

Im nächsten Schritt geht es also darum, klare Strukturen zu schaffen. Dazu gehören die Entwicklung eines Organigramms, detaillierter Stellenprofile sowie die Definition eindeutiger Zuständigkeiten für jedes Teammitglied der Zahnarztpraxis. Für eine nachhaltige Wirkung sollte dies unter Einbezug des gesamten Praxispersonals geschehen.

Stellenbeschreibungen und Organigramme helfen, die Organisationsstruktur zu verbessern, indem Transparenz und Verbindlichkeit über zugewiesene Tätigkeitsfelder hergestellt werden. Sie bilden Weisungskompetenzen und das genaue Aufgabenspektrum der einzelnen Mitarbeitenden ab. Organigramme und Stellenprofile geben der Praxis eine klare Unternehmensstruktur, definieren Kommunikations- und Entscheidungswege und konkretisieren individuelle Verantwortungen im Praxisalltag.

Zudem führen wir ein Haupt- und Stellvertretersystem ein, um bei urlaubs- oder krankheitsbedingter Abwesenheit die reibungslose Verantwortungsübernahme zu sichern und im Falle ausscheidender Mitarbeitender das Wissen in der Praxis zu halten. Die neuen Verantwortungsbereiche und Zuteilung der Aufgaben werden gemeinsam mit dem Praxisteam erarbeitet. So hat jede und jeder die Möglichkeiten, die eigenen Kompetenzen und Präferenzen einzubringen. Der sogenannte Bottom-Up-Ansatz, in dem die gesamte Belegschaft ein Mitspracherecht hat, verspricht eine höhere Mitarbeiteridentifikation und -motivation, die eine nachhaltige Arbeitszufriedenheit befördert.

3. Arbeitsbelastung in der Praxis reduzieren

Neben der Definition klarer Verantwortungsstrukturen gilt es, weitere Maßnahmen zur Entlastung der Geschäftsführung und des Praxisteams zu ergreifen. Digitale Tools und ein professionelles Zeitmanagement sind hierbei wichtige Unterstützer.

Am Markt stehen zahlreiche digitale Anwendungen zur Verfügung, die den Praxisalltag erleichtern können, zum Beispiel Anrufassistenten und Online-Terminvergaben. Sie reduzieren Stress und Sorgen für Entlastung am Empfang. Viele Terminbuchungssysteme versenden auch automatisierte E-Mail- und SMS-Erinnerungen an die Patienten, womit nicht zuletzt die „No-Show“-Quote deutlich gesenkt werden kann.
Eine Tablet-basierte Patientenannahme beschleunigt die Praxisprozesse bei der Anmeldung. Digitale Laufzettel stärken die effiziente Zusammenarbeit und reduzieren Informationsverluste. Ein digitalisiertes Warenwirtschaftssystem hilft, personelle Kapazitäten zurückzugewinnen und Fehlbestände zu vermeiden.

Um das generelle Zeitmanagement der Praxis zu verbessern, wird der Terminkalender überarbeitet. Die Kalenderstruktur wird anhand der wöchentlichen Arbeitszeiten sowie personellen, zeitlichen und räumlichen Kapazitäten optimal ausgerichtet und ein digitales Recall-System für Patientinnen und Patienten installiert.
Eine parallel vorgenommene Abrechnungsanalyse zeigt Potenziale in der Terminvergabe auf, die in die neue Kalenderstruktur eingearbeitet werden. So werden gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Das Zeitmanagement wird optimiert und Umsatzpotenziale gehoben.

4. Kommunikationskompetenzen im Praxisteam fördern

Im vierten Schritt nehmen wir uns der internen Kommunikation an. Wir führen Workshops durch, in denen wir erläutern, wie Kommunikation wirkt und welche Fallstricke es zu beachten gibt. Wir stärken die Kommunikations- und Praxiskultur, indem gemeinsame Werte für die Zusammenarbeit und für den Umgang mit Kritik festgelegt werden. Auch die Patientenansprache, zum Beispiel an der Anmeldung, wird durch einen gemeinsamen Wertekanon in der Patientenkommunikation vereinheitlicht.

Es werden regelmäßige Teammeetings, Abteilungstreffen und Entwicklungsgespräche mit dem Praxispersonal etabliert. Nicht nur zur Verbesserung der Praxisprozesse sind diese wichtig: Ein regelmäßiger Austausch fördert die soziale Interaktion und den Zusammenhalt im Praxisteam. Darüber hinaus wird ein internes Kommunikationstool eingeführt, das einen schnellen und datenschutzkonformen Austausch in den einzelnen Arbeitsgruppen fördert.  

Mit den zahnärztlichen Behandlerinnen und Behandlern führen wir Trainings und Supervisionen zur bedürfnisorientierten Patientenberatung durch. Dr. Botras und ihre Praxismanagerin erhalten ein Führungskräfte-Coaching, in dem sie Kommunikationsfähigkeiten erlernen, die helfen, das Team neu zu motivieren und zu besseren Leistungen zu führen.

Gezielte Veränderungen mit großer Wirkung

Zugegeben: Die Implementierung der Veränderungen ist kein leichter Prozess. Eine enge Zusammenarbeit mit Praxisleitung und Belegschaft sind Grundvoraussetzung für das Gelingen und Etablieren neuer Praxisstrukturen. Es braucht Schulungen, um das Personal auf die neuen Aufgaben vorzubereiten, und regelmäßige Feedbackschleifen, um den Fortschritt zu überprüfen und Anpassungen vorzunehmen. Das Nachhalten der neuen Prozesse erweist sich als erfolgsentscheidend. Daher empfehlen wir, im Arbeitsalltag mit Fehlerlisten zu arbeiten, um den Wandel in der Praxis voranzutreiben und eine nachhaltige Verbesserung zu erwirken.

In der Zahnarztpraxis Botras zeigt die Organisationsentwicklung schnell Erfolge. Die verbesserte Terminplanung und professionalisierte Patientenberatung schlagen sich in einer sichtbaren Umsatzsteigerung nieder. Digitalisierte Praxisprozesse, eine effizientere Aufgabenverteilung und klaren Verantwortlichkeiten haben das Stresslevel in der Praxis deutlich reduziert. Auch Fehler und Reibungsverluste wurden minimiert und die Teamkommunikation hat sich erheblich verbessert.

Die Mitarbeiterzufriedenheit zeigt eine messbare Steigerung und das Team spricht von einem stärkeren "Wir-Gefühl". Der Krankenstand ist gesunken und eine aktuelle Mitarbeiterbefragung zeigt, dass sich das Praxisteam durch die vorgenommenen Veränderungen mehr gewertschätzt fühlt und die Zusammenarbeit inzwischen ohne nennenswerte Konflikte verläuft.

Eine Erfolgsgeschichte geht weiter

Die Geschichte der Praxis Dr. Botras ist noch nicht zu Ende. Die professionelle Organisationsentwicklung war nur der Anfang einer kontinuierlichen Verbesserungsreise. Unsere Coaches begleiten die Praxis weiterhin, um sicherzugehen, dass die Veränderungen nachhaltig wirken. Ein kontinuierliches Praxiscontrolling und regelmäßige Mitarbeiterbefragungen stellen sicher, dass Dr. Botras auf dem Erfolgspfad bleibt.

Die Organisationsanalyse und Teamentwicklung waren für die Zahnarztpraxis ein Wendepunkt. Durch die Identifizierung und Behebung von Schwachstellen kann die Praxis von nun an ihr volles Potenzial entfalten. Mit klaren Strukturen, verbesserten Abläufen und einer effizienten Aufgabenverteilung erreichten wir gemeinsam eine neue Teamkultur und sichtbare Umsatzerfolge.

Der Fall von Dr. Botras erinnert daran, dass Veränderungen manchmal unvermeidlich sind, aber auch immer eine Quelle für Wachstum und Verbesserung sein können. Mit fundierten Change-Management-Konzepten und einer professionellen Organisationsentwicklung ist es gelungen, die Zahnarztpraxis wieder erblühen zu lassen.

Das Comeback der Praxis Dr. Botras ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie eine gut organisierte und effiziente Arbeitsumgebung die Grundlage für unternehmerische Erfolge schafft.

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