Das Arzt-Patienten-Gespräch birgt mehr als ein Geheimrezept

Ein professionelles Arzt-Patienten-Gespräch steigert nachweislich die Heilungschancen von Patienten und senkt Kosten. Trotzdem wird die Wirkung des Arzt-Patienten-Gesprächs noch immer unterschätzt. In der Ausbildung von Medizinern wird großer Wert auf Diagnostik gelegt. Die Schulung der Kommunikationsfähigkeit von Ärzten wird aber nach wie vor vernachlässigt.

09.01.2015 Fachartikel

Mangelnde Compliance senkt Heilungschancen
Längst ist bewiesen, dass mangelhafte Kommunikation zwischen Arzt und Patient das Risiko von Fehldiagnosen und Falschbehandlungen deutlich erhöht. Wer als Patient nicht richtig aufgeklärt ist, macht Fehler und arbeitet weniger mit. Studien zufolge nehmen 35 – 40 % der Patienten die verordneten Medikamente nicht ein, aufgrund mangelnder Compliance. Der Begriff Compliance bezeichnet die Bereitschaft von Patienten, den medizinischen Empfehlungen zu folgen und aktiv an der Therapie mitzuwirken.
Ein Patient, der den Ansatz für die Behandlung und Therapie versteht, sorgt nachweislich besser für die Einhaltung und Umsetzung des Therapieplans.

Patientenorientierte Kommunikation
Studien der Placebo-Forschung belegen, dass sich die Wirksamkeit von Medikamenten um ein Vielfaches vergrößert, wenn Patienten von der Passgenauigkeit des Medikaments überzeugt sind und dem Arzt vertrauen. Die kommunikativen Kompetenzen und eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung spielen für die richtige Diagnose, die Einhaltung des Therapieplans und für den Heilungsprozess eine entscheidende Rolle.

Arzt-Patienten-Beziehung heute
Patienten, die ihren Arzt als emphatisch erleben, empfehlen ihn weiter. Im Gegenzug dazu werden bei Patientenbefragungen „zu wenig Zeit“, „nicht zuhören“ oder „von oben herab behandeln“ als häufigste Gründe für den Arztwechsel genannt.

Der aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge wünschen sich 95 % der Patienten ausführlichere Informationen über die Vor- und Nachteile einer Therapie. Nach ihren Erfahrungen befragt, geben zwei Drittel der Patienten an, weder ausreichend über Behandlungsalternativen noch über Therapie-Risiken informiert worden zu sein. Mehr noch, Untersuchungen belegen, dass Ärzte ihre Patienten häufig unterbrechen und sie kaum zu Wort kommen lassen. Als Patient sein Anliegen vorzutragen, wird zu einem Kampf. Hausärzte hören durchschnittlich etwas besser zu als ihre Facharztkollegen. Das Ergebnis bleibt insgesamt erschreckend.

Partnerschaftliche Beratung gewünscht
Studien zufolge bevorzugt über die Hälfte der Patienten eine partnerschaftliche, die sog. Shared Decision Making (SDM) basierte Beratung. Dieses Modell geht davon aus, dass bei Erkrankungen oder Gesundheitsproblemen mehrere Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen. Der Patient wird umfassend informiert und über die Risiken aufgeklärt. Auf diese Weise wird der Patient aktiv in die Auswahl der Therapiemaßnahmen eingebunden. Das SDM-Modell beschreibt den Arzt als „Experten für die Diagnostik“ und den Patienten als „Experten für die Umsetzungdes Therapieplans“. Nicht die direktive Verordnung, sondern der kooperative und partnerschaftliche Umgang führt zur erfolgreichen Behandlung.

Paternalistische Beratung überwiegt
Obwohl die Mehrheit der Patienten eine partnerschaftliche Beratung wünscht, überwiegt in Praxen der paternalistische Beratungsansatz: Der Arzt entscheidet allein, welche Therapiemaßnahme umzusetzen ist. Wertvolle Chancen auf Einhaltung des Behandlungsplans, Patientenbindung und Heilungserfolg bleiben ungenutzt. Die Kosten für das Gesamtsystem steigen.

Zeitmangel und lohnende Geheimnisse
Mangelnde Zeit gilt als Hauptgrund für diese Diskrepanz. Werden Ärzte genauer zu den Ursachen befragt, wird vor allem eines deutlich: Kommunikation ist nicht angeboren.

Kommunikation birgt viele Geheimnisse in sich. Zur Erklärung wird häufig das Eisbergmodell herangezogen. Demnach bestehen Gespräche nur zu 20 % aus rationalen Inhalten wie Zahlen, Daten und Fakten. 80 % basieren auf emotionalen Inhalten.
Unsere Wünsche, Erfahrungen, Hoffnungen, Ängste, Sorgen, Sympathien oder Antipathien steuern den Kommunikationsverlauf. Je mehr Kommunikationsgeheimnisse ein Arzt kennt, desto erfolgreicher kann er sie anwenden. Einige Universitäten haben reagiert und bieten Kommunikationskurse als Teil der Ausbildung an. Kommunikation und insbesondere das Arzt-Patienten-Gespräch kann und muss man lernen!

Fazit
Heute müssen Ärzte neben den diagnostischen Fähigkeiten vor allem ihre kommunikativen Kompetenzen erweitern. Denn das Arzt-Patienten-Gespräch ist weit mehr als eine verzichtbare „Serviceleistung des Arztes“. Es ist ein wichtiges Instrument für die erfolgreiche Behandlung von Patienten.

Professionelle Beratungsgespräche steigern die Zufriedenheit von Patienten, senken Kosten und retten am Ende sogar Leben. Eine Auswertung der ersten Abrechnung unter dem neuen Hausarzt-EBM zeigt, dass deutlich weniger Gespräche stattfinden. Das Budget wird demnach gar nicht ausgeschöpft. Die Investition in die Beratungskompetenz zahlt sich gleich mehrfach aus.

AUTOR
Stephan F. Kock
Geschäftsführer der Kock + Voeste Existenzsicherung für die Heilberufe GmbH. Berater für Praxisführung, Kommunikation, Qualitätsmanagement, Existenzgründung sowie Referententätigkeiten.

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