Kennzahlen für die Zahnarztpraxis: Ein Interview mit Michael Otto

Führungskräfte, Controller und Geschäftsentwickler schwören auf den Einsatz von Kennzahlen im Unternehmensmanagement. Sie schaffen betriebswirtschaftliche Transparenz, ermöglichen den Vergleich mit „Best Practices“ der Mitbewerber und helfen bei der Entscheidungsfindung. Wie auch Zahnärztinnen und Zahnärzte Kennzahlen in ihrer Praxis etablieren und für sich nutzen können, erklärt uns Michael Otto, Berater, Prokurist und Partner von Kock + Voeste.

20.04.2023 Fachartikel

Warum sollten sich Zahnarztpraxen mit betriebswirtschaftlichen Kennzahlen beschäftigen?

Michael Otto: Auch wenn es primär um die Erbringung medizinischer Leistungen geht, sollte man nicht vergessen, dass eine Zahnarztpraxis auch ein Unternehmen ist, welches sich im wirtschaftlichen Umfeld befindet. Das bedeutet: Personal stellt Anspruch auf Gehalt. Materialien, Räumlichkeiten, Technik etc. müssen bezahlt werden. Und als Inhaberin bzw. Inhaber hat man auch seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Des Weiteren verändern sich Marktbedingungen permanent. Besonders in der aktuellen Zeit steigen die Kosten enorm, sodass ein Ignorieren dieser Umstände zu Liquiditätsschwierigkeiten führen kann. Somit ist eine Auseinandersetzung mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen aus meiner Sicht unabdingbar.

Die Praxiskennzahlen helfen Zahnärztinnen und Zahnärzten dabei, betriebswirtschaftliche Transparenz zu schaffen und risikobehaftete Entwicklungen frühzeitig zu erkennen. Wenn bestimmte Kennzahlen regelmäßig erhoben und ausgewertet werden, hat man einen Kompass für die Praxisentwicklung an der Hand, mit dessen Hilfe Maßnahmen zur Existenzsicherung oder zum Heben von Praxispotenzialen abgeleitet werden können.

Welche Kennzahlen sind für die Zahnarztpraxis am wichtigsten?

Bei der Erhebung von betriebswirtschaftlichen Kennzahlen können verschiedene Perspektiven auf das Unternehmen „Zahnarztpraxis“ eingenommen werden:

Die Helikopterperspektive:
Für einen schnellen Blick zur Gewinnung von Transparenz und Sicherheit ist man mit der Betrachtung von Umsatz, Kosten und Gewinn auf dem richtigen Weg.

Die Praxisperspektive:
Möchte man Stärken und Schwächen einer Praxis analysieren und gegebenenfalls Vergleiche zu anderen Praxen anstellen – sogenanntes Benchmarking betreiben –, ist eine genauere Betrachtung der Praxisleistung nötig. Folgende Kennzahlen sollten dazu regelmäßig dokumentiert werden:

  • Fallzahlen im Quartal
  • Kassenhonorar je Patient
  • Privathonorar je Patient
  • Zuzahlungsquote
  • Laborquote
  • bei angestellten Zahnärztinnen/Zahnärzten: Umsatz je Behandlerin/Behandler

Die Detailperspektive:
Damit Umsatzpotenziale gehoben werden können, müssen Stellschrauben zur Leistungssteigerung identifiziert werden. Das gelingt, indem eine Detailperspektive eingenommen wird und die erhobenen Kennzahlen mit „Best-Practice-Zahnarztpraxen“ verglichen werden. Wo Skalierungspotenziale schlummern, kann beispielsweise an folgenden Kennzahlen abgelesen werden:

  • Umsatz je Stunde
  • Umsatz je Behandlungseinheit
  • Verhältnis Patienten/ZFA
  • PZR-Auslastung
  • HKP-Abschlussquoten
  • bei angestellten Zahnärztinnen/Zahnärzten: Umsatzzusammensetzung der Behandlerin/Behandler
  • Neupatientenquote

Was können Zahnärztinnen und Zahnärzte aus diesen Kennzahlen ableiten?

Nehmen wir zum Beispiel das Verhältnis Patienten/ZFA:
Wird der Ruf nach mehr Personal laut, lässt sich an Vergleichswerten ablesen, ob in der Praxis ausreichend Kapazitäten für eine gute Behandlung vorliegen. Werden tatsächlich weitere Assistenzen benötigt oder liegt es eher an der Organisation? Diese Kennzahl kann bei der Entscheidungsfindung hilfreich sein.

Oder das Beispiel Zuzahlungsquote:
Die Kosten einer Zahnarztpraxis werden durch Kasseneinnahmen allein nicht mehr gedeckt. Selbst- und Zuzahlerleistungen sind deshalb elementare Faktoren, die eine Praxis erst rentabel werden lassen.
In unseren Analysen sehen wir immer häufiger, dass sich Praxen im Umsatz positiv entwickeln, jedoch in Konstellationen mit mehreren angestellten Zahnärztinnen und Zahnärzten zum Teil Fallwertschwankungen von bis zu 100 Euro pro Patient zwischen den einzelnen Behandlerinnen und Behandlern bestehen.
Um tatsächlich Skalierbarkeit zu schaffen, ist es aus unserer Sicht hilfreich, an einer Leistungshomogenität zu arbeiten. Alle Zahnärztinnen und Zahnärzte mit demselben Behandlungsspektrum sollten sich auf ein möglichst einheitlich hohes Niveau in der Zuzahlungsquote entwickeln. Wirkungsvoll zeigen sich hierbei unsere Coachings zum Thema „Patientenkommunikation.“

Interessant sind auch die HKP-Quoten bzw. HKP-Abschlussquoten:
Nicht selten erleben wir in unserer Praxisberatung, dass für Patienten in einem Versorgungsfall zwei bis vier Kostenvoranschläge oder sogar HKPs erstellt werden. Als Begründung wird häufig genannt, dass man dem Patienten verschiedene Optionen aufzeigen und gut aufklären möchte.
Dies kann aus unserer Sicht auch erreicht werden, ohne die Kapazitäten der ZMV derart zu beanspruchen. Denn final kann nur ein HKP umgesetzt werden und je nach Vorgang wird bis zu einer Stunde Arbeitszeit bei der Mitarbeiterin für einen HKP gebunden. Dies sorgt für schnelle Auslastung ohne entsprechenden Umsatz.

Welche Orientierungswerte gibt es für die Auswertung und Einordnung der Praxiskennzahlen?

Es gibt die klassischen Fachgruppenvergleiche, die man von der Steuerberatung oder der KZV bekommt. Diese können schon mal eine gute Orientierung bieten. Man sollte jedoch immer selbst reflektieren, inwiefern die eigene Praxisstruktur auch diesen Fachgruppenbeispielen entspricht.
Für eine wirklich präzise Vergleichbarkeit haben wir bei Kock + Voeste über viele Jahre hinweg einen eigenen Datenpool aufgebaut. Von der Einzelpraxis bis zum Z-MVZ mit mehreren Standorten haben wir darin verschiedene Vergleichszahlen unterschiedlicher Praxisgrößen und Praxisstrukturen dokumentiert. Diese Zahlen findet man sonst leider nirgendwo.

Erst auf Grundlage einer solch detaillierten Datenbasis ist es möglich, konkrete Aussagen über die Leistungsstärke und Entwicklungspotenziale zu treffen. Abhängig von Behandlungseinheiten, Räumlichkeiten, Personalstruktur u. a. m. vergleichen wir die Kennzahlen unserer Mandantinnen und Mandanten mit den Benchmarks der umsatz- bzw. gewinnstärksten Praxen ähnlicher Größe und Struktur.

Für eine Mehrbehandlerpraxis können zum Beispiel folgende Orientierungswerte herangezogen werden:

Wie regelmäßig sollten Praxiskennzahlen überprüft werden?

Die Kennzahlen der Helikopterperspektive monatlich. Mit einem Blick auf die BWA, Umsatz, Kosten und Gewinn behält man einen guten Überblick.

In der Praxisperspektive kann der Abruf des Wochenhonorars hilfreich sein, um den Status quo im Bereich der Leistungserbringung im Blick zu behalten.

Die detaillierteren Kennzahlen empfehlen wir quartalsweise zu prüfen, um ausreichend Transparenz zu erhalten und auch Gegenmaßnahmen ergreifen zu können.

Wo findet man diese Kennzahlen und wie werden die richtigen Maßnahmen daraus abgeleitet?

Einige Informationen erhalten Praxisinhaberinnen und -inhaber von ihrem Steuerberater in der BWA – Umsatz, Kosten und Gewinn.
Die Leistungsstatistiken der Behandlerinnen und Behandler, z. B. die Honorarzusammensetzung, stellen die verschiedenen Praxissoftwareanbieter zur Verfügung.
Detaillierte und individualisierte Kennzahlen erstellen wir für unsere Mandantinnen und Mandanten – das ist Manufakturarbeit.

Wie aus Kennzahlen passende Maßnahmen abgeleitet werden, würde ich gern an einem Beispiel erklären:
Häufig haben wir Praxisinhaberinnen und -inhaber in unserer Beratung, die von ihrem Steuerberater darauf hingewiesen werden, dass ihre Personalkosten zu hoch sind. Diese liegen dann meist über 28 % vom Umsatz.

Die erste daraus entstehende Frage ist oft: Wen soll ich kündigen? Auf wen kann ich eigentlich verzichten?
Die Frage, die wir uns jedoch zunächst stellen: Auf welcher Basis sind die Personalkosten zu hoch? Sind sie real zu hoch? Oder sind die Umsätze vielleicht zu niedrig? Wie ist eigentlich die Auslastung des Personals? Wie ist die Vergütungsstruktur in der Praxis geregelt?

Häufig stellen wir fest, dass die Aussage, die Personalkosten seien zu hoch, faktisch richtig ist, die Maßnahme – Reduzierung der Personalkosten – jedoch nicht immer der logische Schritt ist. Nicht selten führt das Ausdünnen der Personaldecke zu verringerten Kapazitäten, sodass sich auch der Umsatz rückläufig entwickeln kann. Dann haben wir im Folgejahr die gleiche Problematik…

Bei der Analyse einzelner Kennzahlen ist es also notwendig, immer mehrere Praxisaspekte in die Bewertung einfließen zu lassen. Wichtig ist, das Unternehmen als Ganzes zu betrachten, und nicht auf Grundlage einer abweichenden Kennzahl in blinden Aktionismus zu verfallen. Denn ggf. stimmen die Preise einfach nicht, oder es wird nicht gut abgerechnet. Vielleicht fehlen auch Patienten. Dann schließt sich die Frage an: Welche Marketingmaßnahme werden eigentlich bemüht?

Kennzahlen bieten also insgesamt eine gute Orientierung, müssen aber immer im Kontext betrachtet werden. Wer seine Kennzahlen regelmäßig überprüft, kann Fehlentwicklungen vorbeugen und zeitnah Gegenmaßnahmen einleiten. Mit einem kontinuierlichen Controlling behalten Zahnärztinnen und Zahnärzte ihre Praxisentwicklung im Blick. So lassen sich Liquiditätsengpässe vermeiden und Potenziale zur Umsatzsteigerung identifizieren.

Lieber Michael Otto, vielen Dank für das Gespräch!